Vom 18. Juli 2018
(dpa/tmn). Erben, die unter Betreuung stehen, Eingliederungs- und Sozialhilfe erhalten, haben oft nichts von der Erbschaft. Das hinzugewonnene Vermögen wird vom Sozialamt als Kostenerstattung eingezogen. Daher wollen Betreuer die Erbschaft ihrer Schützlinge oft ausschlagen, um die Erbschaft in der Familie zu halten und dem Betreuten ggf. Zuwendungen zukommen zu lassen, die über die Sozialhilfe nicht zu erhalten sind. Hierzu benötigen sie eine gerichtliche Genehmigung.
Der Fall
Eine Großmutter setzt ihre Enkel zu ihren Erben ein. Eine Enkelin steht unter Betreuung. Betreuern sind ihre Eltern. Die Erbin lebt in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe und beziehe Sozialhilfe. Die monatlichen Kosten betragen 7.465,20 €, der Wert des Erbteils 60.000,00 €. Das Erbe wäre folglich nach 5-6 Monaten aufgezehrt. Daher wollen die Eltern das Erbe ausschlagen, damit es bei der unter Betreuung stehenden Tochter nicht zu Leistungskürzungen durch das Sozialamt kommt und das Erbe den Geschwistern zukommt. Diese wollen der unter Betreuung stehenden Schwester aus dem hinzugewonnenen Erbteil Dinge finanzieren, die nicht vom Sozialamt getragen werden. Hierzu begehren die Eltern die erforderliche gerichtliche Zustimmung, die ihnen mit der Begründung verweigert wird, die Ausschlagung belaste die Allgemeinheit und sei daher sittenwidrig.
Die Eltern dürfen als Betreuer für die Tochter ausschlagen
Zu Unrecht, entscheiden die Richter: Die Genehmigung der Ausschlagung der Erbschaft ist zu erteilen. Eine Sittenwidrigkeit eines solchen Vorgehens liegt nicht vor. Diese kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass die Berechtigung zur Beziehung von Sozialleistungen durch die Ausschlagung der Erbschaft weiter aufrechterhalten wird. Die damit verbunden Fragen sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, ohne dass nach kritischen Stimmen in der Kommentarliteratur eine Änderung erfolgt ist.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 19. Januar 2011 (IV ZR 7/10) sowie der Rechtsprechung zum sog. Behindertentestament kann ein Erblasser die Gestaltung des Vermögensübergangs im Falle seines Todes so vornehmen, dass sein behindertes Kind Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, ohne dass der Sozialhilfeträger darauf zugreifen kann bzw. eine Anrechnung auf die dem Kind zu gewährenden staatlichen Leistungen erfolgt. Nach dieser gefestigten Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 01. Februar 2017 – XII ZB 299/15) sind Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus.
Dem entspricht, dass vom Erben grundsätzlich alle im Erbrecht vom Gesetz bereitgestellten Gestaltungsinstrumente ausgeschöpft werden können (BGH, Urteil vom 19. Januar 2011 – IV ZR 7/10). Dazu gehören auch die die Ausschlagung der Erbschaft. Dem Erben steht spiegelbildlich als sog. „negative Erbfreiheit“ das Recht zu, erbrechtliche Zuwendungen abzulehnen. Die Betroffene kann daher als Erbin entscheiden, ob sie die Erbschaft, die ihr nach §§ 1922, 1942 BGB unmittelbar anfällt, erhalten möchte.
Dem stehen keine übergeordneten Wertungen entgegen
Hier kann auch nicht festgestellt werden, dass gegen übergeordnete Wertungen verstoßen wird. Ein solcher Verstoß kann nicht in der weiteren Bezugsmöglichkeit öffentliche Leistungen gesehen werden, weil die Bedürftigkeit der Betroffenen durch die Ausschlagung der Erbschaft befristet aufrechterhalten wird. Der Bundesgerichtshof lehne eine damit verbundene Einschränkung der Privatautonomie unter Berücksichtigung des Nachrangrundsatzes in der Sozialhilfe wie unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips zu Recht ab. Zu beachten sei allerdings, dass der sozialrechtliche Nachranggrundsatz zwar nicht zur Sittenwidrigkeit der Ausschlagung der Erbschaft führen kann, der Verzicht auf eine Erwerbsquelle aber sozialrechtlich sanktioniert werden kann.
Landgericht Neuruppin, Beschluss vom 28.06.2017 (5 T 21/17)