Vom 2. Dezember 2020
(dpa/tmn). Wer als nächster Angehöriger enterbt ist, dem stehen Pflichtteilsansprüche zu. Deren Höhe ist abhängig vom Wert des Nachlasses. Schulden des Verstorbenen mindern den Pflichtteilsanspruch. Werden Forderungen gegen den Nachlass geltend gemacht, gegen die der Erbe vorgeht, so ist der Pflichtteilsanspruch zunächst unter Außerachtlassung dieser ungewissen Verbindlichkeit zu berechnen. Das Risiko, dass sich ein späterer eventueller Rückforderungsanspruch gegen den Pflichtteilsberechtigten nicht mehr realisieren lässt, trägt der Erbe.
Der Fall
Eine Frau setzt eine ihrer beiden Töchter zur Alleinerbin ein. Die andere Tochter verlangt Pflichtteilszahlung in Höhe von etwas über 7.000,00 €. Ihre Schwester stellt das grundsätzliche Bestehen derartiger Ansprüche nicht in Abrede, trägt aber vor, dass der gemeinsame Bruder Ansprüche gegen den Nachlass von rund 57.000,00 € geltend macht, was den Nachlass aushöhlen würde. Würde der Bruder mit seiner Forderung durchkommen, würden sich die Pflichtteilsansprüche rechnerisch auf Null reduzieren. Daher verweigert sie die Zahlung, bis gerichtlich geklärt sei, dass der Bruder keinen Anspruch habe.
Das Risiko, den überbezahlten Betrag nicht mehr gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten realisieren zu können, trägt der Erbe.
Zu Unrecht, urteilen die Richter. Nach dem Gesetz seien ungewisse Verbindlichkeiten, wie sie hier durch den Bruder geltend gemacht werden, bei der Feststellung des Nachlasswertes außen vor zu lassen. Die Erbin darf daher den Pflichtteilsansprüche ihrer Schwester die ungewisse Verbindlichkeit nicht entgegenhalten. Das Gesetz sieht insoweit eine eindeutige Risikoverteilung dahingehend vor, dass die Beklagte zunächst den unter Außerachtlassung der ungewissen Verbindlichkeit berechneten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanpruch der Schwester ausgleichen muss, um dann eventuell später – falls sich die Forderung des Bruders als bestehend herausgestellt – einen Rückforderungsanspruch in Höhe des überzahlten Betrages gegen die Klägerin geltend machen zu können. Das Risiko, dass sich dieser Rückzahlungsanspruch nicht mehr realisieren lässt, hat dabei die Erbin zu tragen.
Oberlandesgericht (OLG) Koblenz mit Beschluss vom 14.8.2020 (12 W 173/20)