Vom 20. Januar 2021
(dpa/tmn). Wer als nächster Angehöriger enterbt ist, kann Pflichtteilsansprüche gegen die Erben geltend machen. Diese hängen in ihrer Höhe vor allem vom Bestand des Nachlasses ab. Um diesen festzustellen, ist der Pflichtteilsberechtigte vor allem auf korrekte Angaben des Erben angewiesen. Diese kann er aber, zumindest was Immobilien angeht, durch Einsichtnahme in das Grundbuch verifizieren.
Der Fall
Eine Frau und ihr Ehemann sind Eigentümer von zwei Wohnungen. Diese übertragen sie an ihre Tochter sowie an einen Dritten. Als die Frau stirbt, wird sie von ihrem Mann allein beerbt. Ihr Sohn will zur Vorbereitung der Geltendmachung seiner Pflichtteilsansprüche das Grundbuch sowie die Verträge zu den Übertragungen einsehen. Das Grundbuchamt gewährt die Einsicht nur mit Blick auf die Wohnung, die an die Schwester übertragen worden ist; bezüglich derer anderen fehle das notwendige rechtliche Interesse, da die Wohnung nicht verschenkt, sondern verkauf worden sei und somit keinerlei Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche auslöse.
Interesse zur Prüfung der Pflichtteilsansprüche hinreichend
Zu Unrecht entscheiden die Richter. Die Grundbuchordnung gestatte jedem ein Einsichtsrecht in das Grundbuch und die diesem zugrundeliegenden Grundakten mit den Übertragungsverträgen, der ein berechtigtes Interesse darlege. Ein solches verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse habe der Sohn in Bezug auf beide Wohnungen; es müsse sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht oder konkretes Rechtsverhältnis stützen, sondern könne auch in einem bloß tatsächlichen, etwa einem wirtschaftlichen Interesse bestehen. Zwar rechtfertige nicht jedes beliebige Interesse die Grundbucheinsicht; die Einsichtnahme müsse vielmehr für das Informationsanliegen des Antragstellers geeignet und erforderlich sein. Außerdem müsse dieses von einem solchen Gewicht sein, dass der mit der Gewährung der Einsicht verbundene Eingriff in das Grundrecht des Eigentümers auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig erscheint, wobei zu berücksichtigen sei, dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht betroffene Eigentümer grundsätzlich vor der Gewährung der Einsicht nicht gehört wird und dass ihm gegen die erteilte Einsicht kein Beschwerderecht zusteht. Ein solches berechtigtes Interesse für die Einsicht in das Grundbuch und die Grundakten könne daher von einem Pflichtteilsberechtigten zur Prüfung seiner erbrechtlichen Ansprüche geltend gemacht werden. Dem Pflichtteilsberechtigten wird Grundbucheinsicht auch dann gewährt, wenn inzwischen der Erbe oder ein Dritter als Rechtsnachfolger im Grundbuch eingetragen ist, weil es zur Klärung dient, ob Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sind. Eine schlüssige Darstellung der etwa geltend zu machenden erbrechtlichen Ansprüchen oder konkreter, von der Grundbucheinsicht abhängender Entschließungen sei in einem solchen Fall nicht erforderlich. Die Einsichtnahme könne auch nicht mit der Begründung versagt werden, dass es an konkreten Anhaltspunkten für eine (Teil-) Unentgeltlichkeit des Geschäfts mangele. Es müsse dem Antragsteller gestattet sein, selbst zu prüfen, ob es unter Berücksichtigung des Zustandekommens des Geschäfts und der vereinbarten Gegenleistung Anhaltspunkte für eine teil- unentgeltliche Übertragung gibt. Dies sei nur durch Einsicht auch in den Kaufvertrag möglich. Die Interessen des Eigentümers müssten bei der Abwägung zurückstehen.
Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt aM Beschl. v. 21.7.2020 (20 W 80/20)