Vom 26. August 2016
Bielefeld/Berlin (dpa/tmn). Ob ein Verstorbener aufgebahrt wird, entscheidet entweder vorrangig der Verstorbene selber oder aber nachrangig die nahen Angehörigen die das sogenannte Totenfürsorgerecht ausüben. Dazu gehört auch die Entscheidung darüber, ob und wer den Leichnam vor dessen Beerdigung sehen darf. Wer das Totenfürsorgerecht alleine oder zusammen ausüben darf, ist immer wieder Gegenstand von Streitigkeiten. Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Landgerichts (LG) Bielefeld.
Die zweite Ehefrau des Verstorbenen verweigert dessen Sohn aus erster Ehe, vor der Beerdigung diesen noch einmal zu sehen. Der Sohn möchte sich von seinem Vater von Angesicht zu Angesicht verabschieden. Als dieses ihm aber verweigert wird, verklagt er seine Stiefmutter auf Schmerzensgeld. Der Sohn meint, dass das Totenführsorgerecht ihm neben der aktuellen Ehefrau gemeinsam zusteht.
Sowohl das erstinstanzliche Amtsgericht als auch das Landgericht verneinen dies und sprechen ihm daher kein Schmerzensgeld zu: Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist beherrschender Grundsatz des Totenfürsorgerechts die Maßgeblichkeit des Willens des Verstorbenen.
Wenn und soweit ein Wille des Verstorbenen nicht erkennbar ist, sind nach gewohnheitsrechtlichem Grundsatz die nächsten Angehörigen des Verstorbenen berechtigt und verpflichtet, über den Leichnam zu bestimmen und über die Art der Bestattung sowie die letzte Ruhestätte zu entscheiden. Bereits das Reichsgericht hat insoweit den Grundsatz aufgestellt, dass beim Tode eines Ehegatten der überlebende Ehegatte vor dessen nahen Angehörigen (Kinder und Geschwister des Verstorbenen) das Totenführsorgerecht alleine ausüben kann. Da ein davon abweichender Wille des Verstorbenen hier vom Sohn nicht behauptet worden ist, stand im vorliegenden Fall der zweiten Ehefrau allein das Recht und die Pflicht zu, über die Art und Weise der Bestattung zu entscheiden. Davon umfasst ist auch die Frage, ob der Leichnam offen aufgebahrt wird und wer diesen betrachten darf.
Es besteht keine Vermutung dafür, dass es stets dem Willen des Verstorbenen entspricht, dass nahe Angehörige den Leichnam vor der Beerdigung betrachten können. Auch handelt es sich bei der Versagung des Zugangs zum Leichnam nicht um eine unzulässige Maßnahme, wie es z. B. bei einem Pressen der Asche der Verstorbenen zu Diamanten der Fall wäre. Ebenfalls hat die Ehefrau in rechtlicher Hinsicht ihr Totenfürsorgerecht auch nicht überspannt. Ob dies bei der Durchführung einer gänzlich anonymen Beerdigung der Fall gewesen wäre – wofür einiges sprechen dürfte – braucht das Landgericht im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, da der Sohn an der Beerdigung seines Vaters teilgenommen hat.
Einen besonders schweren, ein Schmerzensgeld rechtfertigenden Eingriff, vermochte das Landgericht daher im vorliegenden Fall nicht zu erkennen.
Landgericht Bielefeld am 24. Februar 2016 (AZ: 21 S 10/15)