Vom 4. August 2021
(dpa/tmn). Ein jeder kann frei seine Erben wählen. Doch in manchen Fällen steht die Wahl unter dem Einfluss Dritter mit Eigeninteressen. Vor diesem Hintergrund kann ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf den älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.
Der Fall
2012 verstarb der 1929 geborene Erblasser. Er war nicht verheiratet und hatte keine Abkömmlinge. Schon im Dezember 2004 war er infolge einer neu aufgetretenen Gangunsicherheit und zunehmender Verwirrtheit stationär und von dort in ein Pflegeheim aufgenommen worden. Für ihn wurde eine Berufsbetreuerin bestellt. Die Berufsbetreuerin bestellt am 4. Mai 2005 einen Notar in das Pflegeheim ein und überzeugte den Erblasser davon, dass er sie zur Erbin einsetzen solle. Den Wert seines Vermögens gab er mit 350.000,00 Euro an. Nach dem Tod des Mannes beantragte die Betreuerin einen Erbschein zu ihren Gunsten.
Sittenwidrigkeit des Testaments
Zu Unrecht, urteilen die Richter. Das notarielle Testament vom 4. Mai 2005 ist aufgrund von Sittenwidrigkeit unwirksam. § 138 Abs. 1 BGB gilt für alle Rechtsgeschäfte, auch für Verfügungen von Todes wegen, und dann nicht nur hinsichtlich des Inhalts, sondern auch der Umstände des Zustandekommens. Es sollen nicht „aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen werden“ zum Beispiel, wenn ein gewerblicher Dienstleister die erworbene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf einen Erblasser dazu benutzt, gezielt darauf hinzuwirken, dass der leicht beeinflussbare Erblasser ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zugunsten des Dienstleisters durch ein Testament verfügt. So ist es gesetzlich der Leitung, den Beschäftigten oder sonstigen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern eines Heims untersagt, sich von oder zu Gunsten von Bewohnerinnen und Bewohnern neben der vom Träger erbrachten Vergütung Geld- oder geldwerte Leistungen für die Erfüllung der Pflichten aus dem Heimvertrag versprechen oder gewähren zu lassen, es sei denn, es handelt sich um geringwertige Aufmerksamkeiten. Der Grund für dieses Verbot ist das besondere Näheverhältnis zwischen Heimbewohner und Pflegepersonal und die damit verbundene Möglichkeit der Ausnutzung dieses Verhältnisses. Die Betreuung begründet ein ähnliches Näheverhältnis. Zwar fehlt bislang eine Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind. Den Grundsätzen des Betreuungsrechts ist aber zu entnehmen, dass es das Gesetz als sittenwidrig missbilligt, wenn ein Betreuer seine ihm gerichtlich verliehene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf den Betreuten dazu benutzt, gezielt darauf hinzuwirken, dass der infolge seiner geistigen Behinderung leicht beeinflussbare Betreute ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zugunsten des Betreuers durch ein Testament vor einem Notar verfügt, der nicht von dem Betreuten als sein Berater hinzugezogen ist, sondern von dem begünstigten Betreuer. Für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit reicht es dabei aus, dass sich der Betreuer, der durch die von ihm herbeigeführte letztwillige Verfügung bedacht ist, der Tatumstände bewusst ist, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt.
Oberlandesgericht (OLG) Celle, Urt. v. 7.1.2021 (6 U 22/20)