Vom 26. Oktober 2016
(dpa/red) Ziehen die nächsten Angehörigen eines Verstorbenen in eine andere Stadt, wird der Weg zum Friedhof weit. Das Verwaltungsgericht Ansbach musste entscheiden, ob die Tochter der Verstorbenen diese zurück in ihre Heimat mitnehmen darf. Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Ansbach.
Vor der Wende zieht die Tochter mit ihrer Mutter von der DDR in die BRD. Als die Mutter 2010 im Westen verstirbt, wird sie dort auf einem Friedhof in einer Nische für Urnen beigesetzt. 2015 zieht die Tochter, inzwischen ebenfalls betagt, mit ihrem Ehemann zurück in ihre 270 km entfernte Heimat und beantragt bei der Friedhofsverwaltung eine dahingehende Urnen-Umbettung um ihre Mutter auf dem dortigen Friedhof bei sich zu haben. Die Friedhofsverwaltung lehnt dies ab, sodass die Frage vor dem Verwaltungsgericht geklärt werden muss.
Der Grundsatz der Totenruhe ist Ausfluss der im Grundgesetz gewährten unantastbaren Würde des Menschen, die über dessen Tod hinauswirkt. Die Totenruhe genießt nicht nur höchsten Verfassungsrang, sondern entspricht darüber hinaus allgemeinem Sittlichkeits- und Pietätsempfinden. Gerät sie in Konflikt mit dem Totenfürsorgerecht, das als Recht der Hinterbliebenen ebenfalls verfassungsrechtlich gesichert ist und somit von vorneherein unter dem Vorbehalt des Sittengesetzes und der Schranken der verfassungsmäßigen Gesetze steht, so genießt der Schutz der Totenruhe regelmäßig Vorrang.
Die mit der Umbettung verbundene Störung der Totenruhe kann nach den von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen erstens gerechtfertigt sein, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten sein ausdrückliches Einverständnis mit der Umbettung erklärt hat. Fehlt ein solches, kann zweitens auch ein entsprechender mutmaßlicher Wille beachtlich sein. Die Anerkennung setzt insoweit voraus, dass zumindest Tatsachen und Umstände gegeben sind, aus denen der diesbezügliche Wille des Verstorbenen mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden kann. Lässt sich ein Einverständnis des Verstorbenen mit der Umbettung nicht feststellen, kommt es drittens unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalls drauf an, ob das Interesse des Totenfürsorgeberechtigten an der Umbettung nach allgemeiner Verkehrsauffassung schutzwürdig ist und seine Gründe so gewichtig sind, dass die Achtung der Totenruhe zurücktreten muss. Ein wichtiger Grund kann demnach im Einzelfall auch vorliegen, wenn das Recht auf Totenfürsorge in unzumutbarer Weise erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Denn in diesem Fall kann auch die Würde des Verstorbenen, die sich auch auf die Totenfürsorge, wie Grabpflege und Totengedenken, bezieht, nicht hinreichend zu Geltung kommen. Aufgrund dieses grundsätzlichen Rangverhältnisses zwischen dem Schutz der Totenruhe und dem Recht auf Totenfürsorge ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Umbettung einer einmal beigesetzten Leiche vor Ablauf der Ruhefrist nur aus ganz besonderen Gründen beansprucht werden kann.
Anhand dessen entscheidet das Verwaltungsgericht gegen das Ansinnen der Tochter: Einen ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen der Toten, bei einem Umzug der Tochter auf ihre Totenruhe zu verzichten, konnte die Tochter nicht nachweisen. Die Mutter sagte lediglich, dass bei einem Umzug zu ihren Lebzeiten sie mitkommen wolle. Zu einem Umzug nach ihrem Tod äußerte sie sich nicht. Auch der von der Tochter geltend gemachte Umstand, ihr Recht auf Totenfürsorge sei durch ihren Umzug in die ca. 270 km entfernte Stadt erheblich eingeschränkt, begründet keinen wichtigen Grund, welcher der verfassungsrechtlich geschützten Totenruhe ihrer verstorbenen Mutter vorgehen würde. Dass die Klägerin aufgrund ihres Umzugs das Grab ihrer verstorbenen Mutter nicht in einer ihren Bedürfnissen und Wünschen entsprechenden Weise besuchen und pflegen kann, stellt einen für sie gewichtigen und nachvollziehbaren Aspekt dar, der sich jedoch gegenüber dem Schutz der Totenruhe nicht durchsetzen kann. Ein Umzug aufgrund veränderter Lebensumstände – wie altersbedingter Gesundheitsverschlechterungen oder des verständlichen Wunsches, den Lebensabend bei den Kindern zu verbringen – stellt für sich genommen regelmäßig keinen wichtigen Grund für die Umbettung vorverstorbener Angehöriger dar. Anderenfalls liefe der grundsätzlich und im Regelfall gebotene Schutz der Totenruhe weitgehend leer. Denn es stellt sich nicht etwa als Ausnahmefall, sondern als typisches Phänomen dar, dass ältere Menschen, die nicht mehr willens oder im Stande sind alleine zu leben, ihren bisherigen Wohnsitz aufgeben und entweder in die Nähe ihrer Kinder oder sonstiger naher Verwandten ziehen oder sich in eine (vom bisherigen Wohnort ggf. weit entfernt liegende) Seniorenunterkunft begeben (müssen). Ihr Recht auf Totenfürsorge wird ohne Überführung der Urne ihrer verstorbenen Mutter nur in einem Maße eingeschränkt, welches ihr noch zumutbar ist. Dass die Entfernung zwischen ihrem jetzigen Wohnort und dem Grab ihrer Mutter die Grabbesuche und die Grabpflege gänzlich ausschließt, hat sie weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass sie altersbedingt oder aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, eine solche Reise von wenigen Stunden Dauer zu bewältigen. Selbst wenn es ihr nicht mehr möglich sein sollte, alleine zum Urnengrab ihrer verstorbenen Mutter zu reisen, ist ihr zumutbar, den Grabbesuch in Begleitung z. B. ihres Sohnes durchzuführen. Entsprechendes gilt für die Grabpflege, wobei sich die Tochter hierfür zusätzlich der (Mit-)Hilfe Dritter (etwa einer Friedhofsgärtnerei) bedienen kann. Der verständliche Wunsch der Klägerin, das Grab ihrer Mutter selbst pflegen und möglichst oft besuchen zu können, muss daher gegenüber der Totenruhe der Mutter zurückstehen.
Verwaltungsgericht Ansbach vom 3. August 2016 (AZ: AN 4 K 16.00882)