Vom 4. September 2022
(dpa/tmn). Nächste Angehörige wie Kinder haben ein Recht auf eine Mindestbeteiligung am Nachlass: Sie erhalten ihren Pflichtteil, wenn sie enterbt sind. Wird ihnen ein Vermächtnis zugewendet, so haben sie die Wahl: Sie können das Vermächtnis ausschlagen und ihren Pflichtteil verlangen oder das Vermächtnis annehmen und bis zur Höhe des Pflichtteils aufstocken. Eine Ausschlagung des Vermächtnisses muss dabei nicht gegenüber dem Nachlassgericht erfolgen, sondern kann sich schon daraus ergeben, dass Zahlung des Pflichtteils gefordert wird.
Der Fall
Eine Frau setzt ihre Tochter zur Alleinerbin ein. Dem Sohn wendet sie ihr Barvermögen inkl. der Wertpapiere im Vermächtniswege zu. Der Sohn befürchtet, dass das Vermächtnis im Wert unterhalb seines Pflichtteils liegt. Er verlangt daher Auskunft über den Nachlassbestand, um seinen Pflichtteil beziffern zu können und verlangt dann auch Zahlung des sich hieraus ergebenden Betrages. Nach Erhalt der Auskunft, will der Bruder sein Vermächtnis erfüllt haben. Seine Schwester ist der Ansicht, dass dieser Anspruch nicht mehr besteht, sondern er nur noch Anspruch auf seinen Pflichtteil hat.
Konkludente Ausschlagung des Vermächtnisses
Zu Recht, urteilt das Gericht. Der Bruder hat seinen Anspruch auf Erfüllung des Vermächtnisses verloren. Er hat das Vermächtnis durch Geltendmachung des Pflichtteils gegenüber der Erbin ausgeschlagen. Dass die Ausschlagung nicht ausdrücklich erfolgt sei, sei unschädlich, da auch eine konkludente Ausschlagung möglich ist. Formbedürftig sei die Ausschlagung ohnehin nicht. Eine Ausschlagung könne schon darin zu sehen sein, dass der Pflichtteil verlangt wird. Dabei handele es sich zwar um keinen Automatismus, sondern es sei stets eine Auslegung im Einzelfall erforderlich. Von Bedeutung ist dabei, ob der Pflichtteilsberechtigte von seinem Wahlrecht weiß. Dies sei hier der Fall gewesen, da der Pflichtteilsberechtigte anwaltlich beraten gewesen sei. Ferner sei hier nicht nur Auskunft verlangt worden, um eine Wahl treffen zu können, sondern schon Zahlung des Pflichtteils. Daher kann der Bruder nur noch Zahlung des Pflichtteils und nicht mehr das Barvermögen und die Wertpapiere verlangen.
Landgericht (LG) Bochum Urt. v. 24.6.2022 (1–5 O 41/22)