Vom 13. Oktober 2016
(dpa/red) Testamente geben immer wieder Rätsel auf, wie der Erblasser sein Vermögen nach seinem Tod verteilt wissen möchte. Wie ist zu verfahren, wenn der Erblasser zwar die Verteilung seines Vermögens an seine Kinder vornimmt, hierbei aber große Teile dessen nicht berücksichtigt und weitere Erbberechtigte vorhanden sind? Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin.
Der Erblasser setzte ein Testament auf, in welchem er seinem Sohn und seiner Tochter seine Immobilien je zur Hälfte „vermacht“. Seine Ehefrau, die auch die Mutter der Kinder ist, erwähnt er nicht, ebenso wie sein beträchtliches Geldvermögen. Der Sohn meint, dass durch das Testament lediglich die beiden Kinder zu Erben geworden sind. Die Mutter sei enterbt, sodass das Geldvermögen nach Abzug eines Pflichtteils für die Mutter ebenfalls an die Kinder ginge.
Das Amtsgericht folgte dieser Ansicht nicht und erklärte auch die Ehefrau zur Erbin. Das Kammergericht bestätigte dies mit der Argumentation, dass durch das Testament nicht die Kinder als Erben eingesetzt worden sind, sondern dies nach dem Wortlaut so zu verstehen ist, dass durch das Testament lediglich einzelne Nachlassgegenstände zugedacht wurden. Testamente sind als einseitige, nicht empfangsbedürftige Verfügungen grundsätzlich anhand des Willens des Erblassers auszulegen, mit dem Ziel, seinen tatsächlichen Willen im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung so weit als möglich wirksam werden zu lassen. Dafür ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände – auch solcher außerhalb des Testaments – heranzuziehen und zu würdigen. Kann dadurch der tatsächliche Wille des Erblassers noch nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ist im nächsten Schritt zu ermitteln, was dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht, mithin: was der Erblasser vernünftigerweise gewollt haben kann.
Die letztwillige Verfügung des Erblassers enthält keine eindeutige Aussage darüber, ob die darin im Wesentlichen bedachten Kinder als Erben eingesetzt werden sollten. Denn der Erblasser hat ihnen nicht einen bestimmten Anteil an seinem Nachlassvermögen zugesprochen, sondern sich darauf beschränkt, ihnen einzelne Vermögensgegenstände oder Anteile daran zuzusprechen, ohne sie zugleich als seine Erben zu bezeichnen. Da es allein auf den tatsächlichen Erblasserwillen ankommen soll, muss im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Erblasser seine wirtschaftliche Stellung allein und zu gleichen Teilen von seinen beiden Kindern fortgesetzt wissen wollte oder ob seine Verfügungen und Anordnungen auf einer von ihm vorausgesetzten und hingenommenen gesetzlichen Erbfolge aufbauen sollten. In der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass in den Fällen, in denen der Erblasser zwar lediglich Verfügungen über einzelne Nachlassgegenstände trifft, diese Nachlassgegenstände jedoch den gesamten oder aus der maßgeblichen Sicht des Erblassers jedenfalls praktisch sein gesamtes Vermögen darstellen, in der Regel davon auszugehen ist, dass der Erblasser mit seinen Verfügungen Erbeinsetzungen – und zwar entsprechend dem Wert der jeweils zugedachten Gegenstände nach Bruchteilen – vornehmen wollte, schon weil nicht angenommen werden kann, dass der Erblasser zwar praktisch sein gesamtes Vermögen nach Einzelgegenständen verteilt, ohne zugleich einen oder mehrere Erben zu bestimmen.
Vorliegend kann bereits nicht festgestellt werden, dass der Erblasser mit den zu Gunsten der beiden Kinder getroffenen Einzelverfügungen zugleich über sein Vermögen im Ganzen verfügen wollte. Bereits objektiv betrafen seine Verfügungen nur die Immobilien und damit nicht sein gesamtes Vermögen, denn der Erblasser verfügte neben einem PKW und sonstigen persönlichen Gegenständen jedenfalls auch noch über ein beträchtliches Festgeld- und Wertpapiervermögen, das in dem Testament keine Erwähnung gefunden hat. Dass der Erblasser dennoch bei Errichtung des Testaments zumindest subjektiv die Vorstellung hatte, mit den Verfügungen zu Gunsten seiner Kinder zugleich abschließend über sein Vermögen im Ganzen zu verfügen, könnte nur dann angenommen werden, wenn der Erblasser diesem Geldvermögen neben dem Immobilienvermögen praktisch keine Bedeutung beigemessen hätte. Der Senat folgt der angefochtenen Entscheidung dahingehend, dass dies anhand der bekannten und für die Auslegung maßgeblichen Umstände nicht zur notwendigen Überzeugung festgestellt werden kann. Denn weder war der Wert des Geldvermögens in Relation zu den Werten der Immobilien völlig unbedeutend noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Erblasser seinem Wertpapier- und Barvermögen selbst keine wesentliche Bedeutung im Rahmen seines Vermögens beimaß.
Kammergericht Berlin am 12. April 2016 (AZ: 6 W 82/15)