Zum Anwesenheitsrecht des Gläubigers bei der notariellen Erstellung des Nachlassverzeichnisses

(dpa/tmn). Pflichtteilsberechtigte haben einen Anspruch, sich einen Überblick den Umfang des Nachlasses zu verschaffen. Neben einem privaten Nachlassverzeichnis, kann der Pflichtteilsberechtigte den Erben auch aufzufordern, ein Verzeichnis durch einen Notar aufnehmen zu lassen. Dies verspricht eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft. Zusätzlich kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, bei der Aufnahme „hinzugezogen“ zu werden. Doch was genau bedeutet das und wie weit geht dieses Recht? Diese Frage wird zwischen Juristen sehr kontrovers diskutiert und ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden.

Pflichtteilsberechtigte werden von der Aufnahme ausgeschlossen

Eine Frau wird Alleinerbin ihres Ehemannes. Die gemeinsamen Kinder verlangen daraufhin ein notarielles Nachlassverzeichnis zur Berechnung ihrer Pflichtteilsansprüche unter eigener Hinzuziehung. Gleichwohl verwehrt es die Alleinerbin ihnen, während der Erstellung des Nachlassverzeichnisses durch den Notar anwesend zu sein. Das Gericht verhängt gegen die Erbin ein Zwangsgeld, da sie ihrer Auskunftspflicht nicht ordnungsgemäß nachkommt.

Über die Schulter schauen

Zu Recht, entscheidet das OLG. Die Erbin sei ihrer Auskunftspflicht nicht nachgekommen. Es müsse den Pflichtteilsberechtigten möglich sein, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung ihrer Ansprüche zu verschaffen. Das notarielle Nachlassverzeichnis soll eine Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft geben. Deshalb müsse es dem Gläubiger möglich sein, beurteilen zu können, ob das Verzeichnis mit der notwendigen Sorgfalt erstellt wurde. Hierzu gewähre das Gesetz ein Anwesenheitsrecht. Dieses sei auch nicht auf „erstmaliges Sichten und Bewerten des gegenständlichen Nachlasses“ beschränkt. Vielmehr gehe es so weit, dass der Gläubiger dem Notar bei Erstellung des Verzeichnisses bildhaft „über die Schulter schauen“ dürfe. Daraus ergebe sich allerdings kein Anwesenheitsrecht bei sämtlichen Handlungen des Notars. § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB erfordere jedoch eine Anwesenheit des Gläubigers jedenfalls bei der maßgeblichen, abschließenden Zusammenstellung des Notars. Zwar habe der Gläubiger nach ganz herrschender Meinung keinen Anspruch auf die Herausgabe von Belegen. Er dürfe aber Einsicht in die Belege verlangen, die dem Notar bei abschließender Erstellung des Verzeichnisses vorliegen und herangezogen werden. Das Gericht entscheidet damit eine zwischen Juristen sehr umstrittene Frage zugunsten des Pflichtteilsberechtigten. Andere gehen davon aus, dass das Hinzuziehungsrecht gar kein physisches Anwesenheitsrecht mit Einsicht in die dem Notar vorliegenden Unterlagen gewähre, da dies die Wertung des Gesetzes, das keine Belegvorlagepflicht besteht umgehe. Dann aber liefe das gesetzliche Hinzuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten faktisch leer.

Oberlandgericht (OLG) Karlsruhe, Beschl. v. 30.03.2023 (14 W 27/23)