Vom 16. Oktober 2023
(dpa/tmn) Die Frist zur Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen beginnt mit der Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung zu laufen. Doch ist der Pflichtteilsanspruch verjährt, wenn der Pflichtteilsberechtigte aufgrund eines Irrtums davon ausgeht, dass eine ihm bekannte Verfügung unwirksam ist?
Verjährung bei Pflichtteilsansprüchen
Ein Mann setzt seinen Sohn zu seinem Alleinerben ein. Später widerruft er das Testament und setzt seine zweite Ehefrau zu seiner Erbin ein. Der Sohn meint, er sei Alleinerbe. Das spätere Testament zugunsten der Ehefrau hält er für unwirksam, da sein Vater bei Errichtung dement und damit testierunfähig gewesen sei. Er stellt einen entsprechenden Erbscheinsantrag. Erst in zweiter Instanz wird ein Sachverständigengutachten eingeholt, das allerdings die Testierunfähigkeit nicht bestätigen kann. Daraufhin macht der Sohn Pflichtteilsansprüche gegen die zweite Ehefrau als Erbin geltend. Diese beruft sich auf Verjährung, da nunmehr 4 Jahre vergangen seien, seit der Sohn Kenntnis vom Testament erhalten habe.
Zeitpunkt der Kenntnis maßgeblich
Zu Unrecht, so entscheidet das Gericht. Pflichtteilsansprüche verjährten zwar innerhalb von drei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt. Dies setzt vor allem auch Kenntnis von der enterbenden letztwilligen Verfügung voraus. Der Pflichtteilsberechtigte muss den wesentlichen Inhalt der beeinträchtigenden Verfügung erkannt haben. Diese Kenntnis kann fehlen, wenn der Berechtigte infolge eines Irrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam. Das gilt jedenfalls dann, wenn die vorgetragenen Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Dass hier berechtigte Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bestanden, zeigt die Tatsache, dass das Oberlandesgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hat. Erst wenn diese Zweifel ausgeräumt wurden, ist davon auszugehen, dass der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung hatte und die Verjährungsfrist in Bezug auf Pflichtteilsansprüche zu laufen beginnt. Das war aber hier erst kurz vor der Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche der Fall, sodass diese nicht verjährt waren.
Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Urt. v. 2.3.2023 (10 U 108/21)