Vom 7. Juli 2023
(dpa/tmn) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, welches den Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens bildet, kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Verfahrens auszusetzen ist. Die Aussetzung setzt dabei sog. „Vorgreiflichkeit“ voraus. Doch kann auch ein Erbscheinverfahren vorgreiflich gegenüber einem Prozess auf Zahlung an eine Erbengemeinschaft sein?
Aussetzung eines Erbschaftsprozesses
Eine Mutter gewährt ihrem Sohn ein Darlehen von 41.800 EUR, bevor sie verstirbt. Ihre Tochter verklagt daraufhin ihren Bruder auf Rückzahlung des Darlehens an die Erben nach der Mutter. Dabei geht die Tochter davon aus, dass die Mutter gemäß einem notariellen Testament von ihr und einer weiteren gemeinsamen Schwester beerbt wurde. Der Bruder hingegen bezweifelt die Wirksamkeit dieses Testaments. Er ist der Ansicht, die Mutter sei zum Zeitpunkt der Errichtung bereits nicht mehr testierfähig gewesen. Daher richte sich die Erbfolge nach einem älteren Testament, mit dem die Mutter ihn zum Alleinerben eingesetzt habe. Bruder und Schwester beantragen jeweils einen Erbschein. Daraufhin setzt das Landgericht den Rechtsstreit aus, um abzuwarten, wen das Nachlassgericht als Erben erkennt.
Keine „Vorgreiflichkeit“ des Erbscheinverfahrens
Zu Unrecht, beschließt das Gericht. Um eine Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Verfahrens auszusetzen, wird vorausgesetzt, dass das andere Verfahren „vorgreiflich“ ist. Vorgreiflichkeit ist dann gegeben, wenn in dem anderen Verfahren eine Entscheidung ergeht, die für den auszusetzenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist. Das Zivilgericht ist jedoch in einem erbrechtlichen Rechtsstreit nicht an die Feststellung des Nachlassgerichts im Erbscheinverfahren gebunden. Denn der Erbschein enthält lediglich die formelle Bescheinigung des Erbrechts, nicht aber eine inhaltliche Entscheidung über das Erbrecht, die für die Parteien bindend wäre. Daher ist eine Aussetzung eines Erbschaftsprozesses bis zur Entscheidung in einem Erbscheinverfahren unzulässig.
Oberlandesgericht (OLG) Rostock, Beschl. v. 30.3.2023 (3 W 30/23)