Vom 16. Mai 2023
(DAV) Verfasst jemand ein Schriftstück und ordnet in diesem an, dass er „für den Fall seines plötzlichen Ablebens“ einen Nachlassgegenstand an eine bestimmte Person „verschenkt“, so kann darin eine Erbeinsetzung gesehen werden.
„Verschenken“ eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück
Ein Mann ist geschieden und hat einen Sohn, zu dem er schon seit Jahren kaum Kontakt hat. Der Mann und ein langjähriger Freund erwerben gemeinsam zwei zusammenhängende und mit einem Haus bebauten Grundstücke. Einige Jahre später verfasst der Mann handschriftlich ein Schriftstück, welches er datiert und unterschreibt. In diesem Schriftstück ordnet er an, dass er seinen Hausanteil „für den Fall seines plötzlichen Ablebens“ an seinen langjährigen Freund „verschenkt“. Nach dem Tod des Mannes stellt der Freund unter Bezugnahme dieses Schriftstücks beim Nachlassgericht einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist. Seiner Ansicht nach handele es sich bei dem Schriftstück um ein Testament, durch welches der Mann ihn als Alleinerben eingesetzt habe, da der Miteigentumsanteil an dem Grundstück nahezu das gesamte Vermögen des Mannes ausmache. Der enterbte Sohn hingegen ist der Auffassung, dass es sich bei dem Schriftstück um ein formunwirksames Vermächtnis handele, sodass er Alleinerbe aufgrund gesetzlicher Erbfolge sei.
„Verschenken“ als Vermächtnis oder Erbeinsetzung?
Zu Unrecht, so beschließt das Gericht. Ein privatschriftliches Schriftstück muss nicht die Bezeichnung „Testament“, „letztwillige Verfügung“ oder „letzter Wille“ enthalten, um als solches aufgefasst zu werden. Ordnet der Erblasser in einem Schriftstück nicht ausdrücklich eine Erbeinsetzung an, so kommt es allein auf den wirklichen Willen des Erblassers an. Dieser kann sich aus der Gesamtheit aller zu berücksichtigenden Umstände ergeben. Begriffe wie „verschenken“, die in der juristischen Sprache einen ganz bestimmten Sinn haben, können dagegen von Laien anders verstanden und verwendet werden. In dem „Verschenken“ kann daher auch ein Vermächtnis oder eine Erbeinsetzung liegen. Das Gesetz sieht grundsätzlich vor, dass bei der Zuwendung einzelner Nachlassgenstände im Zweifel ein Vermächtnis zu sehen ist. Dies gilt allerdings nur, wenn nach der Auslegung des Willens des Erblassers nichts anderes festzustellen ist. Im Rahmen dieser Auslegung wird für die Abgrenzung von Vermächtnis und Erbeinsetzung vor allem auf die Wertverhältnisse der verteilten Gegenstände abgestellt. Maßgeblich ist dabei die Vorstellung des Erblassers über seinen Nachlass und den Wert der Gegenstände im Zeitpunkt der Errichtung. Wenn der Erblasser zu diesem Zeitpunkt – wie hier – davon ausging, über nahezu sein gesamtes Vermögen zu verfügen, ist anzunehmen, dass er eine Erbeinsetzung vornehmen wollte.
Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg, Beschl. v. 22.2.2023 (3 W 31/22)