Vom 17. November 2023
(dpa/tmn) Wird ein naher Angehöriger verklagt, so steht ihm eine Zahlung in Höhe der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils zu. Diesen sog. Pflichtteil zu beziffern ist nicht so einfach, verlangt es doch Kenntnis über den Wert des Nachlasses. Daher stehen dem Pflichtteilsberechtigten neben seinem Zahlungsanspruch Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung als Hilfsansprüche zu. Diese drei Ansprüche kann er in einer sog. Stufenklage verbinden. Hierzu muss er einen sog. Streitwert der Klage angeben, der maßgeblich für die Kosten des Rechtsstreits sind. Diesen kann der Pflichtteilsberechtigte aber vor Auskunft nur schätzen. Doch welcher Streitwert gilt, wenn er sich verschätzt?
Steckengebliebene Stufenklage
Ein Mann verstirbt. Er setzt seine Ehefrau in einem notariellen Testament zu seiner Alleinerbin ein. Der gemeinsamene Sohn verklagt seine Mutter auf den Pflichtteil. Den Wert seines Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs beziffert er in der erhobenen Stufenklage auf „mindestens 10.000 €“. Nach Klageerhebung zahlt die Mutter ihm 265.000 € aus. Daraufhin nimmt der Sohn die Klage zurück. Das Landgericht setzt den Streitwert auf 10.000 € fest und erlegt der Ehefrau die Kosten des Rechtsstreits auf. Der Rechtsanwalt der Ehefrau wehrt sich gegen die Streitwertfestsetzung, dieser müsse auf 265.000 € lauten.
Realistische wirtschaftliche Erwartungen sind maßgeblich
Zu Recht, entscheidet das Gericht. Erbrechtliche Stufenklagen weisen die Besonderheit auf, dass der Pflichtteilsberechtigte oft keinerlei Kenntnisse über den Bestand des Nachlasses hat. Die Angabe eines „vorläufigen“ Streitwertes verfolgt den Zweck, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu begründen und einen Vorschuss für die Zustellung der Klage einzuzahlen. Dieser ist jedoch nicht Grundlage für den festzusetzenden Streitwert. Gerade bei der sogenannten steckengebliebenen Stufenklage, also einer Stufenklage, die vor einer Entscheidung über die Zahlungsstufe endet, sind vielmehr maßgebliche Schätzungsgrundlagen für die Festsetzung des Verfahrenswertes die realistischen wirtschaftlichen Erwartungen, die der Pflichtteilsberechtigte zu Beginn des Verfahrens mit dem unbezifferten Antrag in der Leistungsstufe verknüpft. Gleichwohl kann für die Bemessung der realistischen wirtschaftlichen Erwartungen des Pflichtteilsberechtigten auf die Erkenntnisse bei Beendigung des Verfahrens abzustellen sein, wenn die zu Beginn des Verfahrens mitgeteilten Erwartungen, also der vorläufige Streitwert, wie hier ersichtlich unzutreffend und deutlich niedriger als der tatsächliche Pflichtteilsanspruch war.
Oberlandesgericht (OLG) München, Beschl. v. 14.8.2023 (33 W 321/23)