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Vom 1. März 2020

BRAK-Gesetzesinitiative für das Pflichtteilsrecht

Die Bundesrechtsanwaltskammer hat einen konkreten Reformvorschlag für eine Modifizierung des § 2314 BGB, den vorbereitenden Auskunfts- und Wertermittlungsansprüchen, vorgelegt. Sie möchte sich damit zu Gunsten eines fairen Verfahrens im Pflichtteilsrecht einsetzen, und zwar u. a. durch die Normierung eines Belegvorlageanspruchs und von Auskunftsansprüchen des Erben gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten. Der Vorschlag zur Gesetzesänderung ist erarbeitet worden vom BRAK-Ausschuss Familien- und Erbrecht mit Dr. Claus-Henrik Horn als Berichterstatter. Die Gesetzesinitiative ist als Initiativstellungnahme Nr. 36/2019 mit folgendem Wortlaut veröffentlicht worden:(1)

„I. Problemstellung im Überblick
Nicht normiert und umstritten ist im Pflichtteilsrecht, ob und inwieweit dem Erben gegen den Pflichtteilsberechtigten bzw. dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten gegen Beschenkte Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche hinsichtlich selbst erhaltener unentgeltlicher Zuwendungen zustehen. Die Recht- sprechung lehnt zudem einen Belegvorlageanspruch zugunsten des Pflichtteilsberechtigten ab.

Zugunsten eines fairen und interessengerechten Verfahrens sollte § 2314 BGB erweitert werden. § 2314 BGB soll die zentrale Norm vorbereitender Ansprüche bleiben, was die Rechtsanwendung vereinfacht. Die aktuelle Gesetzeslage ermöglicht die Verheimlichung von Tatsachen, die jeweils zu einer vom Gesetz nicht gewollten Bevorteilung eines sich unredlich verhaltenden Beteiligten führen kann. Die Auskunftsrechte innerhalb von Pflichtteilsstreitigkeiten müssen gestärkt werden.

II. Vorschlag für eine Erweiterung des § 2314 BGB
Die Bundesrechtsanwaltskammer regt daher die folgenden [… kursiv] markierten Erweiterungen in § 2314 BGB an:

§ 2314 Auskunftspflicht des Erben, des Pflichtteilsberechtigten und des Beschenkten
1. Ist der Pflichtteilsberechtigte nicht Erbe, so hat ihm der Erbe auf Verlangen über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen. Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass er bei der Aufnahme des ihm nach § 260 vorzulegenden Verzeichnisses der Nachlassgegenstände zugezogen und dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Er kann auch verlangen, dass das Verzeichnis durch die zuständige Behörde oder durch einen zuständigen Beamten
oder Notar aufgenommen wird.
2. Auf Verlangen des Erben hat jeder Pflichtteilsberechtigte Auskunft über von dem Erblasser selbst erhaltene ausgleichungspflichtige Zuwendungen nach §2050, über selbst erhaltene Schenkungen und über Anrechnungsanordnungen nach § 2315 Abs. 1 zu erteilen.
3. Ein Beschenkter hat auf Verlangen des Erben oder des Pflichtteilsberechtigten über vom Erblasser erhaltene Schenkungen Auskunft zu erteilen. Die Auskunftspflicht besteht, wenn hierfür konkrete Anhaltspunkte vorliegen.
4. Unter Abkömmlingen gelten die Auskunftspflichten nach § 2057 BGB.
5. Auf Anforderung sind von den Auskunftsschuldnern Belege vorzulegen. § 260 Abs. 2 gilt entsprechend.
6. Der Pflichtteilsberechtigte bzw. jeder Begünstigte hat die Ermittlung des Wertes der Schenkung bzw. der ausgleichungspflichtigen Zuwendung nach §2050 durch den Erben zu dulden.
7. Die Kosten fallen dem Nachlass zur Last.

III. Grundlagen des Pflichtteilsrechts
Die Höhe der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche ist davon abhängig,

– ob und ggf. welche Schenkungen Dritte bzw. welche aus- gleichungspflichtigen Zuwendungen nach §§2316, 2050 BGB Abkömmlinge von dem Erblasser erhalten haben und
– ob und ggf. welche ausgleichungspflichtigen Zuwendungen nach §§ 2316, 2050 BGB bzw. Schenkungen (§ 2327 BGB), ggf. unter Pflichtteilsanrechnung gemäß § 2315 BGB, der Pflichtteilsberechtigte erhalten hat.

Im Einzelnen:
Hat der Erblasser mehr als einen Abkömmling und fordert ein Abkömmling seinen Pflichtteil, so erhöhen sich seine Zahlungsansprüche, wenn andere Abkömmlinge ausgleichungspflichtige Zuwendungen gemäß §§ 2316, 2050 BGB erhalten haben, so vor allem Ausstattungen und Schenkungen unter Anordnung der Ausgleichung auf den Erbteil. Schenkungen des Erblassers an Dritte begründen Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 BGB des Pflichtteilsberechtigten.
Eigengeschenke, also Schenkungen des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten, reduzieren gemäß § 2327 BGB dessen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 BGB. Hat der Erblasser bei Schenkungen an den Pflichtteilsberechtigten die Anrechnung auf den Pflichtteil gemäß § 2315 BGB angeordnet, reduzieren diese sogar den ordentlichen Pflichtteilsanspruch aus § 2303 BGB.

§2314 BGB normiert zugunsten des Pflichtteilsberechtigten klare und umfassende Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung gegen den Erben. Eine entsprechende starke Stellung sieht das Gesetz nicht für entsprechende Auskünfte des Erben gegen den Pflichtteilsberechtigten bzw. des Erben und Pflicht- teilsberechtigten gegen einen dritten Beschenkten vor. Solche Ansprüche werden teilweise hergeleitet, teilweise aber abge- lehnt. Auch die Wertermittlung ist derzeit unzureichend normiert.

IV. Begründung der vorgeschlagenen Änderungen im Detail
1. § 2314 Abs. 2-Entwurf
a) Begründung
Der auf den Pflichtteil in Anspruch genommene Erbe steht regelmäßig vor dem Problem, dass er von allen unentgeltlichen Zuwendungen des Erblassers an die Pflichtteilsberechtigten und an Dritte Kenntnis haben muss, um den gegen ihn gerichteten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch zuverlässig berechnen zu können.

Der vorgeschlagene Absatz würde dem Erben einen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch gegen den Pflichtteilsberechtigten über erhaltene unentgeltliche Zuwendungen verschaffen. Der Pflichtteilsberechtigte hätte dem Erben eine privatschriftliche, abschließende „Liste“ vorzulegen.

Zu weitreichend erscheint es, wenn der Pflichtteilsberechtigte neben der privatschriftlichen „Liste“ von dem Erben zu einer „notariellen“ Liste, die von einem Notar nach eigenen Recherchen aufgenommen wurde, verpflichtet werden könnte. So hat der Erbe die Möglichkeit, selbst Auskünfte etwa bei Kreditinstituten und Grundbuchämtern einzuholen und die Akten des Erblassers zu prüfen.

b) Aktuelle Rechtslage
Über verschiedene Wege wird teilweise ein solcher materiell-rechtlicher Anspruch hergeleitet, wobei zwischen ausgleichungspflichtigen Zuwendungen nach § 2050 BGB, die nach § 2057 BGB im Recht der Erbengemeinschaft unter Geschwistern zu beauskunften sind, und Schenkungen unterschieden wird.

aa) Ausgleichungspflichtige Zuwendungen (§§ 2316, 2050 BGB)
Dem OLG Nürnberg zufolge sind nicht erbende Abkömmlinge wechselseitig zur Auskunft „in entsprechender Anwendung des § 2057 BGB“ verpflichtet (NJW 1957, 1482, Ls.). Der BGH geht von einer Auskunftsverpflichtung des Pflichtteilsberechtigten nach §2057 BGB „oder zusätzlich aus § 242 BGB“ aus (NJW 2010, 3023). Das OLG Koblenz stützt den Auskunftsanspruch auf eine entsprechende Anwendung des § 2057 BGB oder auf § 242 BGB (NJW-RR 2016, 203).

Das OLG München ist dagegen der Auffassung, dass dem Erben gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten „von Gesetzes wegen“ kein Auskunftsanspruch zustehe, „insbesondere auch nicht im Zusammenhang mit § 2316 BGB“. Der Senat lehnte explizit die analoge Anwendung von §2057 BGB ab, denn dies hielt er „nicht für sachgerecht und auch prozessual für problematisch“ (OLG München NJW 2013, 2690, 2691; dem folgend LG Deggendorf, Teilurteil vom 13.10.2014, Az. 23 O 41/14, n.v.; in diese Richtung: OLG Köln ZEV 2014, 660, 662). Das OLG München wollte stattdessen das Problem über einen prozessualen Weg lösen. Da zu vermeiden ist, dass Pflichtteilsstreitigkeiten erst gerichtsanhängig werden müssen, belegt dies die Erforderlichkeit eines materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs. Die Fachliteratur ist ebenfalls uneins (Nach- weise bei Horn NJW 2016, 2150, 2151).

bb) Schenkungen
Ein Auskunftsanspruch des Erben gegen den Pflichtteilsberechtigten über selbst erhaltene Schenkungen wird teilweise nach §242 BGB angenommen (Staudinger/Otte, Neubearb. 2015, § 2315 Rn. 53; vgl. OLG Koblenz ErbR 2016, 208). So hat der BGH im Pflichtteilsrecht und auch in anderen Rechtsgebieten „das Bestehen eines Anspruchs auf Auskunft nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bei denjenigen Rechtsverhältnissen angenommen, deren Wesen es mit sich bringt, dass der Berechtigte entschuldbarerweise über das Bestehen und den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, während der Verpflichtete in der Lage ist, die Auskunft unschwer zu erteilen, wobei die Ungewissheit aus dem besonderen Wesen des Rechtsverhältnisses herrühren muss.“ (BGH NJW 1964, 1414; vgl. NJW 2018, 2629, 2631; vgl. MüKo- BGB/Lange, 8. Aufl. 2020, § 2327 Rn. 10).

2. § 2314 Abs. 3-Entwurf
a) Begründung
Dieser Entwurfsabsatz hat den Fall im Blick, dass der Erblas- ser eine dritte Person beschenkt hat. Sowohl dem Erben als auch dem Pflichtteilsberechtigten sollte zur Verbesserung der Pflichtteilsregulierung ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch gegen einen potenziell beschenkten Dritten verschafft werden. Dieser wäre danach verpflichtet, Auskünfte über selbst erhaltene Schenkungen nach §516 BGB zu erteilen. Damit indes nicht jede Person grundlos in Anspruch genommen werden kann, was dem allgemeinen Grundsatz einer unzulässigen Ausforschung außerhalb von Sonderbeziehungen widerspräche, wird vorgeschlagen, dass diese Pflicht nur dann besteht, wenn der Anspruchsgläubiger „konkrete Anhaltspunkte“ für unentgeltliche, teilunentgeltliche oder verschleierte Zuwendungen gegenüber dem potenziellen Beschenkten darlegt.

b) Aktuelle Rechtslage
Laut BGH sind Beschenkte gegenüber dem enterbten Pflicht- teilsberechtigten über erhaltene Schenkungen in entsprechender Anwendung des § 2314 BGB zur Auskunftserteilung verpflichtet (BGH NJW 1989, 2887, 2888).
Aus Treu und Glauben, mithin aus § 242 BGB, soll sich ein Auskunftsanspruch des Erben gegen den Beschenkten ergeben, wenn der Erbe sich die erforderlichen Kenntnisse nicht auf andere, ihm zumutbare Weise verschaffen kann und der Beschenkte die Auskunft unschwer zu geben vermag (BGH NJW 1973, 1876, 1877).

3. § 2314 Abs. 4-Entwurf
a) Begründung
Zur Überprüfung der Angaben der Auskunftsschuldner – also des Erben, des Pflichtteilsberechtigten und des beschenkten Dritten – sind Belege erforderlich. So kann etwa der Pflicht- teilsberechtigte nach Vorlage der Mitteilung an die Erbschaftsteuerstelle nach §33 ErbStG kontrollieren, ob der Erbe zutreffende Guthabenstände und sämtliche Konten angegeben hat. Entsprechendes gilt für Wertpapiere. War der Erblasser Darlehensgeber, kann durch Vorlage des Darlehensvertrages etwa auch überprüft werden, ob Zinsforderungen bestehen.

Da nach aktueller Rechtslage (s.u.) kein Belegvorlageanspruch besteht, weichen Pflichtteilsberechtigte oftmals auf den Anspruch auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses gem. § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB aus. Über diesen Weg erhalten sie zumindest Einblick in Belege. Ein Belegvorlageanspruch würde die Notare entlasten.
Zudem sollten sämtliche Auskunftsschuldner bei Vorliegen der Voraussetzungen nach §260 Abs.2 BGB auf Verlangen zu Protokoll an Eides statt versichern, dass sie nach bestem Wissen die Auskünfte so vollständig angegeben haben, wie sie dazu imstande waren.

b) Aktuelle Rechtslage
Laut Rechtsprechung hat der Erbe innerhalb der Auskunft grundsätzlich keine Belege vorzulegen (OLG Hamburg ErbR 2018, 92, 94; OLG Koblenz ZEV 2010, 262; Palandt/Weidlich §2314 BGB Rn.10; aktueller Meinungsstand bei OLG Düsseldorf ErbR 2018, 605; anders im Rahmen der Wertermittlung).

Die vorgeschlagene Erweiterung ist § 1379 Abs. 1 Satz 2 BGB entnommen worden, der zum 1.9.2009 durch Gesetz vom 6.7.2009 aufgenommen wurde (BGBl. I S. 1696). Die Interessenlage ist mit der im Zugewinnausgleichsrecht vergleichbar. Es wird auf die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung zum „Entwurf zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts“ verwiesen (BT-Drucks. 16/10798, S. 18), und zwar: „Mit der Einführung der Belegpflicht kann der berechtigte Ehegatte die Angaben des auskunftspflichtigen Ehegatten besser überprüfen. Dies kann die Rechtsverfolgung erleichtern, aber auch bei überzeugenden Belegen zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten beitragen.“ Gleiches gilt für Pflichtteilsstreitigkeiten.

4. § 2314 Abs. 5-Entwurf
Ist eine Schenkung unstreitig oder bewiesen, muss zur Berechnung von Pflichtteilsansprüchen der Wert des Schenkungsgegenstandes festgestellt werden. § 2314 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB räumt lediglich dem Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben den Wertermittlungsanspruch ein. Der Erbe hat nach dem Entwurf auf konkretes Verlangen des Pflichtteilsberechtigten Informationen und Unterlagen sowie ggf. zusätzlich ein Gut- achten hinsichtlich Schenkungsgegenstände, die der Erblasser an ihn bzw. an Dritte geschenkt hat, vorzulegen.

Der Erbe bleibt bei dem Vorschlag der Einzige, der Wertermittlungsgutachten in Auftrag geben muss. Jedoch sollen über diesen neuen Absatz sowohl der Pflichtteilsberechtigte als auch der Beschenkte verpflichtet werden können, die Wertermittlung zu dulden. Hierzu gehören die Herausgabe und Zurverfügungstellung von Unterlagen und das Dulden der Besichtigung durch einen Gutachter. Auf diesem Weg erhält der Erbe die Möglichkeit, den Wert einer unentgeltlichen Zuwendung, die der Pflichtteilsberechtigte oder ein Dritter erhalten hat, ermitteln zu lassen. So wird dieser in die Lage versetzt, einerseits zu überprüfen, in welcher Höhe dem gegnerischen Pflichtteilsberechtigten Zahlungsansprüche zustehen, und andererseits bei Schenkungen an Dritte, das Wertermittlungsverlangen des Pflichtteilsberechtigten zu erfüllen. Abgelehnt wird mithin, dass dem Pflichtteilsberechtigten ein direkter Anspruch gegen den Beschenkten auf Vorlage eines Wertermittlungsgutachtens zusteht. Der Beschenkte ist kein Beteiligter am Nachlass und daher schutzbedürftig.

Der Vorschlag führt unter Beibehaltung der bestehenden Kostenregelung dazu, dass der Nachlass sämtliche Kosten zu tragen hat. Das ist das begrüßenswerte Prinzip des § 2314 Abs. 2 BGB.“

 


(1) Beim gesamten Text handelt es sich um ein Zitat aus der Initiativstellung-nahme Nr. 36/2019. Auf die durchgehende Kursivsetzung des Texts wurde aus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet [Anm. der Schriftleitung].