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Vom 1. November 2019

Großer Wurf oder Minimallösung?

Der Gesetzgeber plant § 72a GVG ua insoweit zu ändern, dass bei den Landgerichten zukünftig auch Spezialkammern für erbrechtliche Streitigkeiten gebildet werden. Entsprechendes soll dann auch für die Oberlandesgerichte gelten. Erklärtes Ziel dieser gesetzlichen Änderung ist es, „auch künftig die hohe Qualität der Ziviljustiz zu sichern. Gleichzeitig soll durch eine Änderung zivilprozessualer Vorschriften eine effiziente Verfahrensführung ohne Einbußen des Rechtsschutzes gefördert werden.“

Während der Deutsche Anwaltsverein in seiner Stellungnahme (Nr. 51/2017 und 25/2019) die Spezialisierung der Gerichte im Erbrecht begrüßt und weiterhin darauf drängt, ein Großes Nachlassgericht (bei dem dann alle erbrechtlichen Streitigkeiten geklärt werden) einzuführen, weist der Deutsche Richterbund in seiner Stellungnahme (Nr.8/2019) darauf hin, dass durch die (weitere) Schaffung von Spezialkammern bzw. Spezialsenaten bei den Oberlandesgerichten in das Selbstverwaltungsrecht der Gerichte und insbesondere in die Entscheidungsbefugnisse der unabhängigen Gerichtspräsidien eingegriffen wird. Gleichwohl begrüßt auch er die geplante Gesetzesänderung. Gleiches gilt für die Bundesrechtsanwaltskammer (Stellungnahme Nr.15/2019) und den Bund deutscher Rechtspfleger (Stellungnahme vom 5.7.2019).

Die Spezialisierung bei den Gerichten bewegt sich in einem Spannungsfeld: Einerseits der berechtigte Anspruch der Bevölkerung auf (zeitnahe) Entscheidungen der Gerichte in einer hohen Qualität, andererseits die Herausforderung der Gerichte, dies mit dem vorhandenen Personal sicherzustellen.

Bei den Rechtsanwälten sind aus 173 Fachanwälten für Erbrecht im Jahre 2006 nach einer Statistik der Bundesrechtsanwaltskammer im Jahre 2019 immerhin 2.016 Fachanwälte geworden. Die Anwaltschaft spezialisiert sich und das natürlich nicht nur im Erbrecht.

Doch während es jedem Rechtsanwalt unbenommen ist, einen Fachanwaltstitel anzustreben und seinen Erfolg und sein Glück in dem jeweiligen Bereich zu suchen und zu finden, kann nicht jeder Richter in der Spezialmaterie tätig sein, die er sich wünscht, schon gar nicht kann er sich diesbezüglich frei entscheiden. Und gelingt es dem Richter, in der gewünschten Spezialisierung tätig zu werden, muss er sich früher oder später mit der Frage beschäftigen, ob er sich nicht „breiter aufstellen“ sollte (mit anderen Worten: das Referat wechseln), um seine Beförderungschancen zu erhalten, denn es ist die Ausnahme, innerhalb der bereits ausgeübten Spezialisierung befördert zu werden.

Es steht zu befürchten, dass keine noch so gut gemeinte Gesetzesänderung einen einfachen Ausweg aus dieser Situation bringt. Das gilt umso mehr, als auch von Gericht zu Gericht die Situation verschieden ist: Bei einem kleineren Landgericht „auf dem Land“ wird die Kammer für erbrechtliche Streitigkeiten wahrscheinlich nicht genügend Fälle haben, um allein und ausschließlich Erbrechtskammer zu sein; vielleicht ist sie zugleich noch Baukammer und allgemeine Zivilkammer. Bei einem größeren Landgericht gehen vielleicht genügend Verfahren ein, um eine entsprechende Spezialkammer auszulasten.

Wissens- und Erfahrungssammlung gehen hier vielleicht schneller. Und natürlich spielt auch der Faktor Mensch eine Rolle. Was, wenn der Richter in der Erbrechtskammer Erbrecht machen muss, obwohl er sich doch eher in der Bankenkammer wohlfühlen würde?

All dies hat Einfluss auf die Qualität der Entscheidungen. Jeder kennt die Beispiele vom „betriebsblinden Spezialisten“ einerseits und von engagierten Richtern andererseits, die sich in jedes noch so spezielle Problem einarbeiten, um zeitnah und richtig zu entscheiden.

Eine einfache Lösung wird es nicht geben, wohl aber eine Richtung: Die Justiz kann sich der Spezialisierung auf Seiten der Anwaltschaft ebenso wenig entziehen wie der zunehmenden Komplexität der zu lösenden Fälle. Nichts spricht dagegen, dass die Gerichte Richter brauchen, die „breit aufgestellt“ (und universell einsetzbar) sind. Aber es spricht genauso wenig dagegen, Richterinnen und Richter zu ermutigen, sich zu spezialisieren und diesen spezialisierten Kollegen auch entsprechende Aufstiegschancen (innerhalb ihrer Spezialisierung) zu erhalten oder zu eröffnen.

Das gilt natürlich auch (oder erst recht) für die Nachlassgerichte, die weiterhin die wesentliche Arbeit im Erbrecht leisten werden: Spezialisierung ist hier unbedingt notwendig, vielleicht auch die Konzentration von Zuständigkeiten bei einzelnen Gerichten, zumal das Erbscheinsverfahren in kaum einem Bundesland noch zur Ausbildung gehört. Aber auch gegen diese Konzentration lassen sich natürlich treffliche Argumente finden.

Was bleibt? Kurt Tucholsky hat am Ende seines Gedichts „Das Ideal“ ganz trefflich darauf hingewiesen: „Etwas ist immer. … Dass einer alles hat, ist selten.“

Wenn wir also schon nicht alles haben können, müssen wir uns gemeinsam bemühen, aus dem, was wir haben, das Beste zu machen. Und besonders wichtig ist es, dass in den Gerichten „nicht über Köpfe hinweg“ entschieden wird. Als Mitglied eines Erbrechtssenats kann ich die Spezialisierung in der ersten Instanz jedenfalls nur begrüßen.