Vom 3. Juni 2020
(dpa/tmn). Bei der Ausschlagung zugunsten anderer bestimmter Personen ist Vorsicht geboten. Denn der eigene Erbteil wächst nicht automatisch den Miterben an, sondern geht an diejenigen Personen, die geerbt hätten, wenn man selbst vorverstorben wäre. Unter Umständen kommen dann andere zum Zuge, die man gar nicht begünstigen wollte, und man selbst geht leer aus. Durch eine Anfechtung der Ausschlagung lässt sich dieses Ergebnis nur ausnahmsweise korrigieren.
Der Fall
Ein Mann verstirbt und hinterlässt neben seiner Mutter seine Ehefrau und eine gemeinsame Tochter sowie deren Tochter. Ein Testament gibt es nicht. Die Tochter schlägt für sich und ihre Tochter aus, damit ihre Mutter, die Witwe allein erbt. Als sie erfährt, dass infolge ihrer Ausschlagungen nicht ihre Mutter allein, sondern zusammen mit ihrer Großmutter erbt, ficht sie die Ausschlagung an. Daraufhin beantragen die Witwe und die Tochter einen Erbschein zu je ½.
Keine Korrektur der Ausschlagung durch Anfechtung
Zu Unrecht urteilen die Richter. Zwar waren die Witwe und die Tochter ursprünglich Miterben zu je ½. Durch die Ausschlagung der Tochter sind die Mutter und die Ehefrau des Verstorbenen Miterben geworden. Dies ließ sich auch nicht durch eine Anfechtung wieder rückgängig machen. Denn eine Erklärung kann nur wirksam angefochten werden, wenn ihr ein Irrtum zugrunde liegt, den das Gesetz für relevant erklärt, um die Erklärung rückgängig zu machen. Das war hier nicht der Fall. In Betracht kommt hier nur ein sog. Inhaltsirrtum. Ein solcher kann zwar auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum. Nach diesen Grundsätzen befand sich die Tochter bei Erklärung der Ausschlagung allenfalls in einem rechtlich unbeachtlichen Motivirrtum. Ihr Irrtum lag offensichtlich allein darin, dass sie die gesetzliche Erbfolge und dabei insbesondere die Rechtsfolge aus § 1931 BGB verkannt hat, wonach nämlich neben den Ehegatten auch noch Verwandte zweiter Ordnung oder Großeltern treten und der Ehegatte nur Alleinerbe wird, wenn solche Personen im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr vorhanden waren, § 1931 Abs. 2 BGB. Das ist aber nur eine mittelbare Folge. Die unmittelbare Folge ihrer Ausschlagung hat sie richtig eingeschätzt. So hat sie nicht angenommen, dass ihr Erbteil ihrer Mutter unmittelbar anwachsen würde. Vielmehr war ihr bewusst, dass nach der Ausschlagung die gesetzliche Erbfolge neu zu bewerten ist, so als ob die Anfechtende zu keinem Zeitpunkt Erbin geworden wäre. Das zeigt sich darin, dass sie die Ausschlagung nicht nur für sich, sondern auch für ihre Tochter erklärt, die neben ihr nicht gesetzliche Erbin war, solange sie nicht ausgeschlagen hatte. Damit stellt sich der Irrtum der Tochter nicht als beachtlicher Rechtsfolgenirrtum, sondern als unbeachtlicher (Motiv-) Irrtum über eine nur mittelbare abstrakte Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung dar.
Kammergericht (KG) Berlin, Beschl. v. 11.7.2019 (19 W 50/19)