Vom 21. Juni 2016
(dpa/red). Formulierungen im Testament müssen immer wieder ausgelegt werden, insbesondere, wenn der oder die Testierenden sich vorher nicht Rechtsrat eingeholt haben. Insbesondere bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit sich die Eheleute binden wollten. Darf der Überlebende sich in Bezug auf die Frage, wer nach dem Tode beider Ehegatten erben soll, noch umentscheiden? Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg.
In einem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1992 setzen sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre 4 Kinder als Schlusserben ein: Sie schreiben unter anderem „Das heißt, der überlebende Ehegatte ist Alleinerbe und hat die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen.“ Danach verfassen die Eheleute 2010 gemeinsam noch eine Verfügung zugunsten eines Sohnes: Dieser soll „das Anwesen und dessen Verwaltung übernehmen. Er hat am meisten dafür getan. Als Wohnung sollen unsere Wohnräume ihm dienen.“ Diese Anordnung greift jedoch nicht, weil sie nur maschinenschriftlich verfasst ist. Die Ehefrau stirbt 2014; der Ehemann 2015. Eine gute Woche vor seinem Tod lässt der Ehemann ein notarielles Testament errichten, in dem er unter Widerruf der Verfügungen des Testaments von 1992 hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung den bereits vorher bedachten Sohn zum Alleinerben einsetzt.
Die Frage ist nun, ob das neue notarielle Testament vom Ehemann zugunsten des einen Sohnes gilt oder dennoch das gemeinschaftliche Testament von 1992 gleichberechtigt zugunsten aller Kinder. Dies hängt davon ab, ob die Ehegatten bei der Errichtung des gemeinsamen Testamentes wollten, dass dies nicht mehr durch den überlebenden Ehegatten alleine abgeändert werden darf.
Die Formulierung „hat die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen“ ist daher nach dem übereinstimmenden Willen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung auszulegen. Sofern ein solches Testament keine klaren und eindeutigen Aussagen enthält, muss diese Frage nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ermittelt werden. Lässt sich der Wille damit nicht zuverlässig feststellen, so kommt bei der vorliegenden Konstellation eines sog. Berliner Testaments, in dem sich die Eheleute gegenseitig zum Alleinerben und ihre gemeinsamen Kinder als gemeinsame Schlusserben zu gleichen Teilen eingesetzt hatten, eine spezielle gesetzliche Auslegungsregel zum Zuge, wonach im Zweifel die gegenseitigen Erbeinsetzungen der Ehegatten jeweils auch im Verhältnis zur Schlusserbeneinsetzung des anderen Ehegatten als bindend anzusehen sind.
Das OLG Bamberg sieht in der Bestimmung im gemeinschaftlichen Testament, wonach der überlebende Ehegatte „die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen“ haben sollte, schon nach dem Wortlaut der betreffenden Anordnung lediglich die Bedeutung und Funktion eines klarstellenden Zusatzes, wonach der überlebende Ehegatte tatsächlich Vollerbe werden sollte. Nach Ansicht des Gerichts ist nicht zu erkennen, dass die Vorstellungen der Ehefrau entgegen aller Lebenserfahrung nicht von dem Wunsch bestimmt gewesen sein könnte, das gemeinsame Vermögen allen vier Kindern zu gleichen Teilen zukommen zu lassen. Im Gegenteil: Die im Jahr 2010 gewollte testamentarische Änderung des ursprünglichen Testamentes wird ausdrücklich mit einer zwischenzeitlichen Änderung der Verhältnisse, nämlich damit begründet, dass der bedachte Sohn für „das Anwesen und dessen Verwaltung … am meisten getan (habe)“. Diese einleitende Klarstellung kann somit nur dahin verstanden werden, dass der beabsichtigten Zuwendung an den Sohn ein Motivationswechsel infolge einer – in den zurückliegenden 18 Jahren eingetretenen – neuen Entwicklung zugrunde gelegen hatte. Aus diesem Grund können keine tragfähigen Rückschlüsse auf die Erwartungshaltung und Wünsche der testierenden Ehegatten zur Zeit der Testamentserrichtung im Frühsommer 1992 gezogen werden.
Somit greift die gesetzliche Vermutung ein. Diese geht von der gewöhnlichen Lebenserfahrung über die Vorstellungen und Absichten der Ehegatten in solchen Fällen aus. Danach tun Eheleute, die ihr gemeinsames Vermögen „letztlich“ an ihre eigenen – gemeinsamen – Kinder weitergeben möchten, jedoch mit Rücksicht auf die Altersversorgung des anderen Ehegatten ihre Abkömmlinge für den Fall ihres eigenen Vorversterbens enterben, dies jeweils in der offenkundigen Erwartung, dass aufgrund der gleichzeitigen Schlusserbeneinsetzung des anderen Teiles das gemeinsame Vermögen mit dem Tode des Ehegatten auf ihre Kinder übergehen wird. Dieses Vertrauen der testierenden Eheleute wird u.a. dadurch geschützt, dass ein Widerruf nach dem Tod des Erstversterbenden grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Der nachversterbende Ehemann konnte daher den einen Sohn nicht durch ein weiteres Testament nach dem Tod der Ehefrau besonders bevorzugen, auch wenn diese dies vielleicht seit 2010 wollte. Die 4 Kinder wurden zu gleichen Teilen Erben.
Oberlandesgericht Bamberg am 6. November 2015 (AZ: 4 W 105/15)