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Aktuelle Urteilsmeldungen

Vom 27. Mai 2022

Das Recht auf Hinzuziehung zur Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses ist auch in Pandemiezeiten nicht schrankenlos

(dpa/tmn) Wer Pflichtteilsansprüche geltend machen will, ist darauf angewiesen, den Nachlassbestand zu kennen. Hierzu gewährt das Gesetz ihm das Recht, ein Nachlassverzeichnis zu verlangen. Der Pflichtteilsberechtigte kann dabei darauf bestehen, dass das Verzeichnis von einem Notar erstellt wird, und dass er selbst bei der Erstellung zugegen ist. Hierzu muss der Notar mehrere Terminvorschläge machen. Wenn die Pflichtteilsberechtigte aber letztlich jeden vorgeschlagenen Termin – zum Teil mit einem pauschalen Berufen auf die Coronapandemie – ablehnt, kann das Festhalten an der Hinzuziehung treuwidrig sein und die Pflichtteilsberechtigte verliert das Recht, hinzugezogen zu werden.

Der Fall
Eine Pflichtteilsberechtigte verlangt von der Erbin Auskunft über den Nachlassbestand durch Vorlage eines notariellen Verzeichnisses und beansprucht, bei der Aufnahme hinzugezogen zu werden. Den hierzu vom Notar vorgeschlagene erste Termin lehnte die Pflichtteilsberechtigte ab, da ihr Anwalt im Urlaub sei. Die hierauf vorgeschlagenen weiteren zeitnahen Termine lehnte sie ab, da sie zu kurzfristig anberaumt seien. Weitere drei Terminvorschläge lehnte sie wegen urlaubsbedingter Abwesenheit während der Herbstferien ab, die folgenden zwei mal drei jeweils wegen der Pandemiesituation. Daraufhin errichtete der Notar das Verzeichnis ohne die Anwesenheit der Pflichtteilsberechtigten. Diese rügt, der Notar habe ihre Anwesenheit vereitelt.

Festhalten an Zuziehung zur Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses kann treuwidrig sein.
Zu Unrecht, urteilt das Gericht. Das Verlangen der PflichtteiIsberechtigten, zur Aufnahme hinzugezogen zu werden, sei unter den gegebenen konkreten Umständen treuwidrig, da die Gläubigerin mit keinem der vom Notar vorgeschlagenen Termine einverstanden war und damit die Aufnahme des Verzeichnisses in ihrer Anwesenheit verhindert hat. Insbesondere genüge auch ein pauschales Berufen auf die Corona-Pandemie nicht, da nicht konkret ersichtlich sei, warum die Pflichtteilsberechtigte oder zumindest ihr Prozessbevollmächtigter die Reise zum Notar nicht antreten kann. Die Empfehlung der Bund-Länder-Beschlüsse, auf nicht notwendige Reisen zu verzichten, bezogen sich ausdrücklich nur auf private Reisen. Ein zeitweise bestehendes Beherbergungsverbot konnte mit einem negativen Corona-Test überwunden werden. Hinzu komme, dass die künftige Entwicklung der Pandemie nicht absehbar war, eine Verlegung auf unbestimmte Zeit der Erbin aber nicht zuzumuten war. Zwar müssen in der Regel mehrere Termine mit einer gewissen Vorlaufzeit angeboten werden. Wer aber bisher sämtliche Terminvorschläge – sei es auch zum Teil gerechtfertigt – abgelehnt hat, muss hiernach eine erhöhte Kooperationsbereitschaft erkennen lassen, um einen Termin zur Aufnahme des Verzeichnisses zu ermöglichen. Daran fehlte es hier, sodass der Notar berechtigt war, das Verzeichnis ohne die Pflichtteilsberechtigte aufzunehmen.

Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschl. v. 12.10.2021 (10 W 29/21)