Seite drucken

Aktuelle Urteilsmeldungen

Vom 22. Dezember 2022

Eine fehlgeschlagene „lenkende Ausschlagung“ kann angefochten werden

Brandenburg/Berlin (DAV). Verstirbt jemand ohne Testament, findet sich die gesetzliche Erbfolge in einer Miterbengemeinschaft wieder, die so möglicherweise gar nicht gewollt ist. Dies wird oft versucht, durch eine sog. „lenkende Ausschlagung“ der Erbschaft zu korrigieren. Doch was tun, wenn die beabsichtigten Rechtsfolgen nicht eintreten. Unter bestimmten Voraussetzungen lassen sich solche Ausschlagungen rückgängig machen, nämlich dann, wenn sie als sog. Inhaltsirrtum anerkannt werden, entscheidet das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg in seinem Beschluss vom 27.7.2022 (3 W 59/22). Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) berichtet.

Eine Frau verstirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen. Nach der gesetzlichen Erbfolge sind ihr Ehemann und ihre beiden gemeinsamen Söhne ihre Erben. Die beiden Söhne schlagen das Erbe form- und fristgerecht zugunsten ihres Vaters aus, da sie kein Interesse an der Erbmasse hätten. Als die Söhne erfahren, dass ihre Erbanteile infolge der Ausschlagung nicht auf ihren Vater, sondern auf die noch lebenden Eltern der verstorbenen Mutter übergegangen seien, fechten sie ihre Ausschlagungserklärung an und beantragen einen auf sie und den Vater lautenden Erbschein.

Zu Recht, urteilt das Gericht. Der beantragte Erbschein entspreche der gesetzlichen Erbfolge. Diese sei eingetreten, da die Söhne ihre Ausschlagungserklärungen wirksam angefochten hätten. Dies sei zwar nicht bei jeder fehlgeschlagenen „lenkenden Ausschlagung“ automatisch der Fall. Zu einer Anfechtung berechtige insbesondere aber ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung. Ein solcher sog. Inhaltsirrtum könne auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt jedenfalls dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigte Wirkung erzeuge. Dies sei dann der Fall, wenn der Anfechtende davon ausgehe, dass sein Erbteil dem verbleibenden Erben anwachse, obwohl in Wahrheit die gesetzliche Erbfolge neu bewertet werde. Dies aber sei hier der Fall, da die Söhne dachten, ihr Vater werde nach ihrer Ausschlagung als verbleibender Erbe Alleinerbe. Stattdessen aber werden die ausschlagenden Söhne wie Vorverstorben behandelt, sodass die Eltern der Verstorbenen als gesetzliche Erben zweiter Ordnung neben dem Ehepartner erben. Daher war die Anfechtung wirksam und die Erbfolge richtete sich wieder nach der ursprünglichen gesetzlichen Erbfolge.