Seite drucken

Aktuelle Urteilsmeldungen

Vom 3. Oktober 2022

Kein zwingender Sorgerechtsentzug der Eltern, wenn ein Elternteil und ein minderjähriges Kind letztwillig bedacht sind

(dpa/tmn) Erben Eltern und deren Kinder gemeinsam zB von den Großeltern, dann kann ein Interessengegensatz bestehen. Sind die Kinder noch minderjährig, kann es zur Wahrung von deren Rechten ein Sorgerechtsentzug erforderlich sein. Hiervon kann in einem Erbscheinsverfahren, in dem über die Verteilung der jeweiligen Zuwendungen entschieden wird, aber nicht automatisch ausgegangen werden.

Der Fall
Eine Frau setzt ihre Tochter zu ihrer Haupterbin ein. Deren minderjährige Tochter soll nach dem Willen der Erblasserin Wertpapiere erhalten. Das Familiengericht sieht eine Kollision der Interessen zwischen Tochter und der Enkeltochter. Es entzieht daher beiden Eltern der Enkeltochter für die Erbangelegenheit das Sorgerecht, ordnet Ergänzungspflegschaft an und setzt eine Rechtsanwältin zur Pflegerin ein. Dagegen wehren sich die Eltern der Minderjährigen.

Sorgerechtsentzug nicht zwingend
Mit Erfolg! Das Sorgerecht soll den Eltern nur entzogen werden, wenn das Interesse des Kindes zum Interesse der Eltern als gesetzlicher Vertreter in erheblichem Gegensatz steht. Wenn sich wie hier je nach Auslegung des Testaments eine unterschiedliche Höhe der Zuwendung an die Minderjährige und deren Mutter ergeben können, besteht in der Regel ein solcher Interessengegensatz, da das eine Interesse nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und daher die Gefahr besteht, dass die sorgeberechtigten Eltern das Kindesinteresse nicht genügend berücksichtigen könnten. Solcherlei Interessengegensätze dürfen aber nicht allgemein vermutet werden, sondern müssen jeweils im Verfahren konkret festgestellt werden und verhältnismäßig sein. Da über die Auslegung des Testaments nicht die Eltern, sondern das Nachlassgericht entscheidet, sah das Gericht die Entziehung des Sorgerechts der Eltern als nicht erforderlich an, die sich im Rahmen der Anhörung willig gezeigt hatten, auch die Interessen des Kindes zu berücksichtigen.

Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg Beschl. v. 20.6.2022 (7 WF 434/22)