Vom 24. August 2022
(DAV) Wer im Besitz eines Testamentes ist, muss dieses beim Nachlassgericht abliefern, sobald er vom Tod des Testators Kenntnis hat. Ein Verstoß kann Schadensersatzansprüche auslösen. Dies aber nur, wenn ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann.
Der Fall
Ein Mann setzt seine zweite Ehefrau in einem notariellen Testament von 2012 zu seiner Alleinerbin ein; dieses wird vom Nachlassgericht eröffnet. Die Tochter aus erster Ehe ist der Ansicht, das Testament sei unwirksam, da ihr Vater zum Zeitpunkt der Errichtung bereits testierunfähig war. Sie beauftragt daher einen Gutachter, einen Rechtsanwalt und einen Notar und beantragt einen Erbschein, der sie selbst als Miterbin nach gesetzlicher Erbfolge ausweist. Hierauf holt die Witwe Rechtsrat ein, übergibt dem Nachlassgericht auf Anweisung ihres Anwaltes zwei weitere handschriftliche Testamente aus den Jahren 2006 und 2008, in denen sie ebenfalls zur Alleinerbin eingesetzt ist und die sie nach dem Tod ihres Mannes in ihre Obhut genommen hatte. Die Tochter nimmt daraufhin ihren Erbscheinsantrag zurück und verlangt, die ihr durch Gutachten, rechtsanwaltliche Beratung und Erbscheinsantrag entstandenen Kosten von der Witwe erstattet.
Schadensersatzbewährte Ablieferungspflicht nur bei Verschuldensvorwurf
Zu Unrecht, urteilt das Gericht. Zwar besteht eine Pflicht, Testamente nach einem Todesfall unverzüglich beim Nachlassgericht abzuliefern. Wer – wie die Witwe – hiergegen verstößt, kann sich schadensersatzpflichtig machen. Im hiesigen Fall sah das Gericht aber kein Verschulden bei der Witwe, sodass Schadensersatzansprüche letztlich ausschieden. Denn die Tochter konnte nicht nachweisen, dass die Witwe um ihre Ablieferungspflicht wusste oder diese (früher) hätte erkennen müssen. Insbesondere geht das Gericht nicht davon aus, dass sie insoweit früher hätte Rechtsrat einholen müssen. Denn bis dato konnte sie davon ausgehen, dass sie in jedem Fall Alleinerbin geworden ist und dass die vorangegangenen handschriftlichen Testamente durch das notarielle Testament überholt seien.
Oberlandesgericht (OLG) Hamburg, Urt. v. 9.9.2021 (2 U 9/21)