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Aktuelle Urteilsmeldungen

Vom 18. März 2022

Bei Konkurrenz mehrerer Vorsorgebevollmächtigter: Kann einer dem anderen seine Vollmacht entziehen?

(dpa/tmn). Wer für seinen Lebensabend vorsorgen will, sollte rechtzeitig an eine Vorsorgevollmacht denken. Hier lautet der Rat von Experten nicht selten, mehreren Personen eine Vorsorgevollmacht zu erteilen, mit der sie jeweils einzeln für den Bevollmächtigenden agieren können. Doch was, wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bevollmächtigten entstehen? Kann dann ein Bevollmächtigter die Vollmacht des anderen widerrufen? In der Regel nein!

Der Fall
Ein Mann erteilt seinem Stiefsohn sowie seinen drei leiblichen Kindern eine notarielle Vorsorge- und Generalvollmacht. Aufgrund derer sollte ein jedes der Kinder den Mann allein vertreten können. Zwei Jahre nach Erteilung der Vollmacht widerruft die Tochter des Mannes die Vollmacht, die dieser seinem Stiefsohn erteilt hatte, und forderte diesen auf, die Vollmachtsurkunde herauszugeben. Der Stiefsohn verweigert dies.

Vorsorgevollmacht berechtigt regelmäßig nicht zum Widerruf der Vollmacht eines anderen Vorsorgebevollmächtigten
Zu Recht, urteilen die Richter. Die Tochter des Mannes konnte die Vollmacht ihres Stiefbruders nicht wirksam widerrufen. Denn mit der Erteilung einer Vorsorgevollmacht an eine Person ist regelmäßig nicht die Bevollmächtigung zum Widerruf einer gleichzeitig einer weiteren Person erteilten Vorsorgevollmacht verbunden. Andernfalls wäre der Wunsch des Vollmachtgebers, mehreren Personen eine Einzelvertretungsmacht einzuräumen, ständig der Gefahr ausgesetzt, nach dem „Windhundprinzip“ konterkariert zu werden, indem jeder Einzelbevollmächtigte fortlaufend gewärtigen müsste, seine Vollmacht werde durch einen anderen Bevollmächtigten widerrufen. Jeder Bevollmächtigte könnte sich so die Position eines ausschließlich Bevollmächtigten verschaffen, und dies – jedenfalls nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers – sogar dauerhaft. Dies hatte der Vollmachtgeber jedoch ersichtlich nicht gewollt, als er sich dafür entschied, mehreren Personen eine Einzelvertretungsbefugnis zu erteilen, weshalb im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) im Regelfall – und so auch hier – eine entsprechende konkludente Beschränkung der Vertretungsmacht jedes Einzelbevollmächtigten zu ermitteln ist.

Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe Beschl. v. 24.1.2022 (10 W 8/21)