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Aktuelle Urteilsmeldungen

Vom 22. Dezember 2021

Keine vorschnelle Abgabe eines Pflichtteilsverzichts zur Erreichung anderer Zwecke

(dpa/tmn). Ein vor Eintritt des Erbfalles erklärter Pflichtteilsverzicht bedarf zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung. Ist der Erbfall aber eingetreten, so kann der Pflichtteilsverzicht in einen Erlassvertrag umgedeutet werden. Ein solcher kann formfrei erklärt werden. Wer hierüber irrt, kann den Verzicht weder durch Anfechtung noch wegen Sittenwidrigkeit beseitigen.

Der Fall
Ein Mann erklärt nach dem Tod seiner Mutter gegenüber dem Erben formlos einen „Pflichtteilsverzicht“ nach dieser. Dabei geht er davon aus, dass dieser mangels Einhaltung einer Form nicht rechtsverbindlich sei. Mit der Erklärung will er den Erben dazu bringen, ihm kurzfristig 200.000,00 € aus einer angeblichen Forderung gegen die Erblasserin zu bezahlen. Als er erfährt, dass der Verzicht als Erlassvertrag formgültig und wirksam ist, ficht er diesen an und verlangt seinen Pflichtteil nach seiner Mutter.

Anfechtung ausgeschlossen
Zu Unrecht, urteilen die Richter. Eine Anfechtung komme nur dann in Betracht, wenn das Rechtsgeschäft andere als die erstrebten Rechtsfolgen erzeuge. Hier aber gab der Mann seine Erklärung in der Erwartung ab, diese erzeuge überhaupt keine Rechtsfolgen. Auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch den Erben scheide aus. Vielmehr müsse der Mann sich selbst arglistiges Handeln vorwerfen lassen. Auch liege in der Nichtzahlung der 200.000,00 € keine zur Anfechtung berechtigende widerrechtliche Drohung, weil die Nichtzahlung daher resultierte, dass der Erbe die Forderung des Mannes in zulässiger Weise bestritten hat.

Auch keine Sittenwidrigkeit
Auch eine Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzicht sehen die Richter nicht. Zum einen handele es sich bei der schließlich erfolgten Zahlung der 200.000,00 € eher um eine freiwillige Leistung des Erben. Zum anderen liege auch kein für die Annahme einer Sittenwidrigkeit erforderliches „krasses Missverhältnis“ zwischen dem potentiellen Pflichtteil und den erhaltenen 200.000,00 €. Einerseits lege der Kläger bereits nicht belastbar dar, wie hoch der potentielle Pflichtteil überhaupt ausgefallen wäre. Andererseits hätte es ihm aber auch freigestanden, den Pflichtteilsverzicht nicht zu unterzeichnen, sondern die Zahlung der 200.000,00 € und den Pflichtteil nach seiner Mutter geltend zu machen. Dass sich der Mann angeblich in einer finanziellen Notsituation befunden habe, könne nicht zu Lasten des Erben gehen.

Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Hinweisbeschl. v. 27.7.2021 (12 U 1681/20)