Vom 26. August 2016
(dpa/red) Die internationale Zuständigkeit in Erbsachen bestimmt sich seit August 2015 nach europäischem Recht. Danach ist grundsätzlich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers entscheidend. Dieser bestimmt sich unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der persönlichen familiären Eingliederung des Erblassers in dem (Aufenthalts-)Mitgliedstaat. Bei Grenzpendlern, die z.B. im Ausland arbeiten, soll es beim Herkunftsstaat als gewöhnlicher Aufenthaltsort bleiben, wenn dort der familiäre und soziale Schwerpunkt des Grenzpendlers verblieb. Das KG hatte nun über den gewöhnlichen Aufenthaltsort eines betagten Grenzpendlers zu entscheiden, der im Herkunftsstaat zwar keinen Wohnsitz mehr hatte, aber dort verblieb und im ausländischen Zweitstaat nicht integriert war.
Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin.
Im zu entscheidenden Fall hatte der Erblasser jedoch seinen ersten Wohnsitz in Deutschland abgemeldet und war 6 Jahre vor seinem Tod nach Polen übergesiedelt.
Das Gericht stellte anhand einer Vielzahl von Anhaltspunkten fest, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte: Die Familie des Erblassers, der erst im Jahr 2010 im Alter von 72 Jahren seinen Erstwohnsitz in Berlin aufgegeben hatte, verblieb im Raum Berlin. Der Verstorbene unterhielt die üblichen familiären Kontakte unverändert bei. In der Wohnung der Tochter in Berlin behielt er einen Zweitwohnsitz lediglich für “Meldezwecke” bei, ohne sich dort jedoch tatsächlich aufzuhalten. Eine Integration am neuen Wohnort in Polen – unweit der deutsch-polnischen Grenze – erfolgte kaum. Der Erblasser sprach kein polnisch. In das Dorf- und Vereinsleben war er nicht integriert. Persönliche Kontakte beschränkten sich auf Unterhaltungen mit und Anweisungen an ortsansässige Hilfskräfte und gelegentliche Gespräche mit dem deutschkundigen Ortspfarrer. Eine neue Familie gründete er in Polen nicht. Ärzte und Krankenhäuser suchte der Erblasser nur in Deutschland auf. Der Erblasser erzielte sämtliche Einkünfte (Renten, Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit im Baugewerbe) in Deutschland. Konten unterhielt er weiterhin in Deutschland. Praktisch täglich überquerte er im Rahmen seiner Tätigkeit im Baugewerbe die Oder, um an seine Baustellen und zu seinen Kunden zu gelangen. Die Entscheidung für die Anmietung des Teils einer Lagerhalle in Polen mit eingebauter Wohnung erfolgte ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen (deutlich günstigere Miete als in Deutschland) und Zweckmäßigkeitserwägungen (dennoch kurze Wege zu den Kunden in Berlin). Somit bestand unverändert eine besonders enge und feste Bindung an den Heimatstaat des Erblassers. Ein Wohnsitz in einem Land ist daher nicht zwingend für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts notwendig.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 26. April 2016 (Az: 1 AR 8/16